Es kommt selten vor, dass ich nicht weiß, was ich oder wie ich es sagen soll. Nach der Begegnung mit Seasick Steve ist es so. Obwohl ich seit Dienstag keinen Tropfen Alkohol getrunken habe oder sonstige Rauschmittel zu mir nahm, habe ich heute einen Kater. Ich war mehr als 24 Stunden lang „high“. Berauscht von den Dingen, die ich erleben durfte. Jeder von Euch wird wahrscheinlich schon einmal die Begriffe „ Royal Albert Hall“ und „Glastonbury“ gehört haben. Seasick Steve spielte ( um seine Worte zu nutzen ) in einem kleinen Klub namens „Royal Albert Hall“ und 90 000 Zuschauer feierten ihn ekstatisch in Glastonbury.
Nur hier weiß es kaum jemand. Fangen wir an das zu ändern.
Die Geschichte eines Interviews
Der letzte Montag war zäh wie Kaugummi, in dem Teil Berlins in dem ich lebe, war es gnadenlos heiß und gegen 14.00 Uhr fiel mir mein Kalender in die Hände. Mist. Ich wollte doch am Dienstag ( 08.06.10 ) mit einem Kumpel zum Konzert. Seasick Steve. Vergessen! Für meine (Radio-)Sendung am kommenden Sonntag hatte ich auch noch keine Idee. Wenn ich schon zu einem Blueskonzert gehe, dann mache ich eben ein Interview, auch wenn ich nur wenig über den Künstler weiß. Blues heid, gut anzuhören aber mehr als 100 Leute werden bestimmt nicht kommen. Eine gute Chance so kurzfristig noch etwas abzumachen.Das Interview kommt zustande.
Durchgeschwitzt und 10 Minuten zu spät komme ich am Dienstag am Postbahnhof an. Die Luft flirrt vor Hitze und vor dem Bühneneingang steht nur ein alter Transporter. Das Gelände ist menschenleer. Alles so, wie es sein soll. Eben Blues. Nach einem kurzen Telefonat nimmt mich der aus England mitgereiste Manager sehr freundlich in Empfang und … mustert, „durchleuchtet“ mich. Huch!. Werde ich jetzt gerade bewertet? Natürlich bemerke ich so etwas nicht und plappere munter weiter, der unkonventionelle Musikfreak, der ich nun mal bin. Dieses Mustern empfinde ich nicht als negativ, gar nicht. Jon ist ein sympathischer Mensch. Er ist verantwortlich für Steve, macht seinen Job und soweit ich das beurteilen kann, macht er den wirklich gut. Es geschieht nur vollkommen unerwartet und sehr „professionell“. Hmmmmm. Etwas ist anders. In den Räumen ist es angenehm kühl. Nach zwei Minuten betritt Steve den Raum, begrüßt mich vergnügt, setzt sich und erzählt mir sogleich wie sehr er es genießt, mal wieder in einer so kleinen “venue“ zu spielen; endlich mal wieder Kontakt zu den Zuschauern. Öhm! Was für Musik machte Steve noch? Ja. So in Richtung Blues. Wie viele Leute gehen hier rein? 500? 800?. Öhm!
Zwischenspiel
Ich bereite mich bewusst nicht auf Interviews vor, weil meine Hörer in der Regel wenig über die Künstler, die ich vorstelle, wissen. Klar lauscht inzwischen der eine oder andere Musikkenner, aber das Gros der Zuhörer hört nebenbei zu: fährt Auto, bügelt oder arbeitet. Um ihnen meine, unsere, Musik näher zu bringen, um ihnen die Künstler näher zu bringen, versuche ich die Menschen, denen ich begegne, so zu erleben wie die Zuhörer: ohne Vorwissen. Wir lernen uns im Laufe eines Interviews kennen und ich erfrage Dinge, die mich wirklich interessieren, frage nichts stereotyp ab.
Ok. Flucht nach vorne. „Steve, ich führe keine Interviews, sondern versuche mich zu unterhalten, breche alle Regeln des Journalismus und erzähle sogar etwas über mich. Gelingt das, gelingt es uns ein Gespräch zu führen, denke ich, die Hörer erleben Dich ganz anders als bei einem Interview, erleben den Menschen Steve. Ist das ok für Dich?“ Noch so ein durchdringender Blick, ein Lächeln und los geht es.
In dem Gespräch begegne ich einem Menschen, der leuchtet, der einen Traum lebt, in einem Traum lebt und oft gar nicht begreifen kann, was ihm da widerfährt. Und er genießt es sichtlich. Steve stammt aus den USA und ist als Jugendlicher von zuhause abgehauen, hat lange Zeit als „Hobo – fahrender Gelegenheitsarbeiter“ gelebt. Es war hart und wenig romantisch. Sein Leben änderte sich und Steve zog für ein paar Jahrzehnte einfach seine Kinder groß. Dieses Leben war nie wirklich gut zu ihm. Im Alter von 60 Jahren, wanderten Steve und seine Ehefrau in deren Heimat aus. Nach Europa. Nach Norwegen. Das Leben wurde für Steve noch härter, es wurde noch schwieriger Arbeit zu finden.
Ein schwerer Herzinfarkt war die Folge. Nach einem solchen Infarkt bestehen gute
Chancen auf einen zweiten … endgültigen. Steve fühlte sich wie ein Zombie, war ein Zombie: saß teilnahmslos herum und warte auf den Tod. Seine Frau redete ihm zu, seine Instrumente wieder in die Hand zu nehmen, wieder Musik zu machen, wieder etwas zu tun. Steve ist folgsam. Über 60 Jahre lang hatte sich niemand ernstlich für seine Musik interessiert. Steve versuchte immer wieder als Straßenmusiker zu überleben. Bist du gut, hast du Geld, hast du zu essen. Bist du nicht gut, hungerst du. So einfach ist das Leben.
Dann geschah das Wunder. 2004 nahm er seine erste CD auf, 2007 trat er in einer englischen TV – Silvester – Show auf. Heute füllt er mit seinen Auftritten Stadien und kann in England nicht mehr in Ruhe spazieren, einkaufen oder essen gehen. Immer wieder ist er von Menschen umringt, die mit ihm reden wollen, um Autogramme bitten. Seasick Steve ist ein Star. Er hat es geschafft.
Und… bekommt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Steve kann es nicht fassen und lebt einen Traum, lebt in einem Traum. Er war am Ende seines Lebens angekommen und hat etwas Wunderbares geschenkt bekommen, an einem Punkt, da alles eigentlich schon vorbei war, sein Leben vorbei war. Ein Wunder. Es gibt keinen Grund. Es geschah einfach.
Ein zweites Wunder: die Musik. Eine Mischung aus Blues, Country, Southern und und und. Eine Musik die niemand so wirklich gerne hört, außer uns Freaks natürlich. Mit dieser Musik füllt er Stadien.
Für mich war es eine unglaubliche Begegnung. Steve ist und bleibt Steve, der Straßenmusiker, der Hobo, der Familienvater. Er macht unbeirrt „sein Ding“. Im Grunde genommen ein „Punk“: Authentisch, unkonventionell, geradeaus, eckig, freundlich und … glücklich.
Das Konzert
Wie viele Leute waren es noch Mal? 500? 800? Es ist voll, eng und heiß.
Es ist wie wilder Sex. Etwas, das man nicht tut. Rau, wild, direkt, einfach, atemlos, unkontrolliert, schräg, total verrückt, mitreißend, ekstatisch, beglückend und möge niemals aufhören.
Bea, unsere Fotografin, formuliert es treffend: Sonst musst Du auf eine Pose warten, Steve besteht aus Posen, besteht aus „Action“.
Steve betritt den Saal, schüttelt Hände, singt, schreit, lacht, erzählt, tobt, ist charmant, randaliert ( das arme Mikrofon ) und zieht uns in seinen Bann.
Alle tanzen, singen, lachen, sind glücklich und verzaubert. Magie. Und das mit der Musik!
Es gibt keine Fotos, in denen meine Gesprächspartner und ich Arm in Arm dastehen und in die Kamera lächeln. Nun gibt es eines mit Steve.Und … ich besitze jetzt zwei Cds mit Steves Autogramm! Und … er hat sich für das interessante Gespräch noch einmal bedankt!!! Wow.
Mit dieser Schilderung wollte ich eine Stimmung, eine Emotion präsentieren, denn genau das ist Steves Zauber. Nicht seine unglaubliche Virtuosität sondern seine Ausstrahlung, sein Charisma, sein Feuer.
Vieles habe ich bewusst ausgelassen. Weiteres verrate ich in meiner Radiosendung am kommenden Sonntag. Das Interview werde ich zum Download ins Netz stellen.
Ich bin noch berauscht. Berauscht von der Magie, berauscht von den eigenen Endorphinen.
Am Ende ein zu häufig genutzter Satz, der hier zutrifft:
Es geht, alles ist möglich. Du musst es nur tun!
Fotos: Beatrice Sommer
Danksagung:
Maike von Neuland – Concerts, Du hast alles möglich gemacht
Tanju von Neuland Concerts
Jon Harris – Thanks for your help, it was a real pleasure to meet you
Seasick Steve – Just do it maaaaan!!!!!
Bea Sommer – Tolle Fotos und toll Dich kennen zu lernen!
Ilka und Mike von Rocktimes – Danke für die Geduld!
Linkisches:
http://www.myspace.com/seasicksteve
http://de.wikipedia.org/wiki/Seasick_Steve
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