Das Amphi 2014
Ein Bericht von Babu, alle Fotos: Monti
Ein (der erste) Beitrag aus dem Forum von darkevolution.de
Das Amphi – ein unendlicher Kosmos der Fantasie. Alles ist erlaubt, nur keine Langeweile. Show ’n Shine ist die Devise, Auffallen um jeden Preis. Nirgendwo sonst wird Andersein so zelebriert wie im Kölner Tanzbrunnen. Am Wochenende traf sich die schwarze und doch so bunte Szene erneut am Rheinufer. Eine Momentaufnahme…
Vor dem kleinen Spiegel auf dem Damenklo am Amphi-Beach herrscht Gedränge: Lauras ausladende viktorianische Robe lässt ihren beiden Freundinnen nicht eben viel Platz, um das eigene Outfit wieder in Form zu bringen. Bis zu vier Stunden haben die drei für ihre Metamorphose gebraucht, jetzt soll alles perfekt sitzen. Kira zubbelt ein letztes Mal an den giftgrünen Neon-Spirallocken, die ihren künstlichen Haarturm krönen, Marlyn hadert mit dem Halter ihrer Netzstrümpfe. Dann betritt das ungleiche Trio wieder den an diesem Wochenende wohl schrillsten Laufsteg Europas – das Amphi 2014 im Kölner Tanzbrunnen.
„Achtung. Drei Personen auf dem Staatenhaus. Vorwiegend schwarz gekleidet…“ Alle, die die Walki-Talki-Durchsage des Ordners zufällig verfolgt haben, brechen in schallendes Gelächter aus. „Vorwiegend schwarz gekleidet..“ – absolut treffende Beschreibung für roundabout 16000 Menschen, die an diesem Sonntag am Ufer des Rheins visavis des Doms zusammengekommen sind. Eine Location wie geschaffen für ein Sonnenbad mit Chillfaktor, für laue und vor allem lange Sommernächte ebenso, wie für grenzenlosen Partyspaß zu treibenden Rhythmen.
Grenzen gibt es ohnehin nicht bei diesem Szene-Festival. Deutsch mischt sich mit Französisch, Spanisch, Englisch, slawischen und skanidanivischen Sprachen. Von überall sind sie nach Köln gekommen. Rock zum Beispiel. „Great to be here. It’s perfect… fantastic“, schwärmt der Mittdreißiger aus Dallas vom drittgrößten Event seiner Art in Europa und nimmt einen kräftigen Zug Kölsch. Auch das Bier hat es ihm angetan – weniger allerdings die Preise dafür. 4,50 Euro für einen halben Liter, das findet er schon ganz schön happig. Und überhaupt: So ein Halber sei bei hochsommerlichen Temperaturen ja schneller verdampft, als nachgefüllt. Wer es beim Wasser belässt ist übrigens nicht viel besser dran: Die Wasserhähne der drei Zapfstellen für Trinkwasser auf dem 30000 Quadratmeter großen Gelände laufen nahezu ununterbrochen. Bei ebenfalls 4,50 Euro für die kleine Buddel Kühles kein Wunder.
Dabei könnte man sein Geld gut und gerne für ganz andere Dinge ausgeben. Die Verkaufszelte sind kaum noch zu zählen. Jeder Szene-Händler, der auf sich hält, ist vertreten, es gibt so gut wie alles, was das Herz der „Schwarzen“ höher schlagen lässt: Klamotten jeglicher dunkler Richtung, Schmuck in Tausenden Variationen und für ebensoviele Gelegenheiten, Haarteile oder Zylinder, Strümpfe und sonstige Accessoires, Piercinings für jedes erdenkliche Körperteil genauso wie farbige Kontaktlinsen oder falsche Wimpern. Comics für den schwarzen Humor sind zu haben, wahlweise aber auch der Ratgeber „für düstere Stunden“.
Letztere sind allerdings an diesem Wochenende erst mal aufgeschoben. Tiefenentspannt – so lässt sich die überall fühlbare Stimmung am besten beschreiben. „Eine Familie“ nennt es Alex Wesselsky, Frontmann von Eisbrecher, als er sich nach dem vielbejubelten Gig der wie immer höchst presenten Headliner aus Fürstenfeldbruck von der Mainstage verabschieden muss. Draußen unter den „Pfifferlingen“ ist eben um punkt 22 Uhr Schluss, „Zugaben“ gibt’s dann nur noch im Staatenhaus. Der denkmalgeschützte Rondell-Backsteinbau aus den 20er-Jahren bietet die perfekte Kulisse für eine musikalische Reise durch 30 Jahre elektronischer Musik. Das schottische Urgestein Midge Ure (Visage/Ultravox) etwa rockt die Bühne auch mit 61 Lenzen noch, bei „Fade to grey“ hebt der 16-jährige Enkel genauso ab wie sein Opa. Textsicher sind beide. Letzteres ist bei Bands wie Noisuf X, die an gleicher Stelle am Sonntagmittag mit gefühlten 200 bpm auch den Allerletzten aus dem Dämmerzustand hämmern, nicht unbedingt erforderlich – wohl aber eine gute Ausdauer. Beim Blick von oben gleicht die Masse einem hüpfenden, wippenden, tobenden Molloch. Nebel aus der Fog Machine oder Dunstschwaden? Lässt sich nicht mehr genau sagen…
Centhron oder Corvus Corax, Mono Inc oder Mesh, Lord of the Lost oder Lacrimosa, Klangstabil oder Krupps, She past away oder Solar Fake? Bei insgesamt 34 Bands an zwei Festivaltagen und einem breitgefächerten Musikgeschmack bleiben Verschleißerscheinungen nicht aus. Wer sich nicht entscheiden kann und trotzdem alles hören will, muss das eben fußläufig wettmachen. Mainstage, Staatenhaus, Mainstage, Staatenhaus – zwischendurch vielleicht mal ein kurzer Erholungsstopp in der Lounge. Der mitten in einen riesigen Brunnen gesetzte Pavillion hat außer „Frozen Met“ bisweilen sogar Hardcore-Elektrolyte zu bieten: Irgendwann Samstagnacht steht plötzlich Erk Aicrag, Texter und Sänger von Hocico, hinterm Tresen und lässt sich im Ausschenken einweisen. Immerhin: Trinken kann der Mexikaner schon mal ganz gut.
Amphi 2014: 16000 Besucher und 16 Stunden Musik pro Tag (die Aftershow-Partys im Theater mal dazugerechnet), ungezählte Eindrücke und viele beantwortete Fragen. Nur eines wird Flachsohlern (wie der Autorin) auf ewig ein Rätsel bleiben: Wie man auf 30 Zentimeter hohen Plateausohlen kilometerweit laufen kann, ohne die Blasenpflaster des freundlichen Service-Teams in Anspruch nehmen zu müssen… Meine Hochachtung
Babu für Dark Evolution, Juli 2014
Bildergalerie Monti und als Ergänzung noch einmal die Galerie von Lordessa