Avenged Sevenfold – The Stage
Eine Rezension von Steffner, hochgesetzt von Viktor
Ein zäher Rechtsstreit mit Warner Bros.. Labelwechsel. Nebulöse Gerüchte um Titel (Voltaic Oceans) und Release-Datum (9. Dezember) des neuen Albums, die von der Band selbst gestreut wurden. Mysteriöse Deathbat Logos an Gebäudefassaden der ganzen Welt. Die Single The Stage kommt wie aus dem Nichts; Ebenso das gleich betitelte Album, dessen tatsächliches Erscheinungsdatum (Bereits am 28. Oktober) mal so ganz nebenbei bei einer Live-Show vom Dach das Capitol Records Tower erwähnt wurde. Chaotische Umstände, eigenwilliges Marketing? Überraschend war der Coup auf jeden Fall und die Verkaufszahlen sprechen für sich.
Mehr als drei Jahre ist es nun her, als das letzte Album Hail to the King das Licht der Welt erblickte und ich bin mir immer noch im Unklaren, ob es (mal abgesehen von Shepherd of Fire) nicht besser in der Babyklappe oder einem kambodschanischen Waisenhaus verschwunden wäre. Pathetischer Höhepunkt war Crimson Day, der mich damals dermaßen anödete, dass ich während des Songs zweimal Bier holen ging. Jimmy „The Rev“ Sullivan ist tot. Avenged Sevenfold sind tot, sagte ich mir. Scheiß drauf. Gibt genug andere Bands und die alten Alben liegen bei mir in irgendeiner Schublade… [Das Rumgehacke auf Hail to the King wird möglicherweise vielen eingewachsene Zehennägel bescheren, darunter einigen meiner besten Freunde, die in hoc casu alles andere als meiner Meinung sind. Nun, das ist ihr gutes Recht; Es soll hier auch nicht um Hail to the King gehen, das von billiger Hommage bis zu dreistem Plagiat, kein Fettnäpfchen auslässt. Im Gegenteil;] – der Vergleich der frappierenden Diversität wie Qualität zweier direkt aufeinanderfolgender Alben zeigt den symptomatischen Facettenreichtum von Avenged Sevenfold, der sich mehr denn je in The Stage widerspiegelt. Experimente in dieser Größenordnung können daneben gehen. Und genau das war bei Hail to the King passiert. Schon aus diesem Grund war ich mäßig gespannt, bis hysterisch überdreht, was The Stage angeht. Die gleichnamige Single klang immerhin überraschend vielversprechend, bereitet jedoch keinesfalls auf das vor, was kommt…
Konzeptalben sind ja immer so eine Sache. Dann auch noch mit dem Thema künstliche Intelligenz… Scheiße, dachte ich, wenn sie sich mit diesem Konzept mal nicht gründlich in die Nesseln gesetzt haben. Schon wieder. Carl Sagan und Metal? Klingt ein wenig, wie riesige Plastiktitten und Mensa-Vereinigung; Oder um es mit den Worten von Rhythmus-Gitarrist Zacky Vengeance zu formulieren: „It’s pretty much completely aggro. It goes in all sorts of aggressive directions and melodic directions. It has a lot of metal elements that we grew up loving. And tons of melody. It’s hard to say. At this point the only word that would describe it is ‘aggro’.” (Im Gespräch mit Kerrang!)
Genau so kann es einem auch vorkommen. The Stage wirkt anfangs, als hätte irgendein Knallkopf Waking the Fallen, City of Evil und Nightmare in einen Holzhäcksler geworfen, Granatsplitter dazugegeben, ordentlich dagegengetreten, einen blinden Crackhead von der Straße aufgelesen und ihm im Gegenzug für eine warme Mahlzeit die bis zur Unkenntlichkeit deformierten Trümmer mit den Worten „Alter, tu damit, was du gottverdammt nochmal für richtig hältst!“ vor die Füße gekippt.
Thrash, Akustik, Metalcore, Posaunen, Hard-Rock, Hörner, Hardcore, Pop, Metal, Gott, das Wetter, Präsidenten, Robototer, Satyren, ein Pfund Gehacktes, etc…. Wer zum Teufel blickt da noch durch?
Technisch ist das Album (wie alles andere von Avenged Sevenfold auch) auf höchstem Niveau angesiedelt. Mit Brooks Wackerman, Ex-Drummer von Bad Religion, haben sie sich einen herausragenden Musiker an Bord geholt, der die fehlende Spannung und die vermisste Spritzigkeit von Hail to the King auf seine eigene Art und Weise wieder kompensiert. Es wäre an dieser Stelle unfair und vollkommen überzogen, Vorgänger Arin Ilejay für das meiner Meinung nach schlechteste Album der Band verantwortlich zu machen. Es fehlte der letzte, aber unerlässliche Feinschliff an Kreativität und Wahnsinn im Songwriting eines (wahrscheinlich unerreicht bleibenden) Jimmy Sullivan. Ein Album entstand, das mehr Inspiration für die Band selbst, als inspirierend war. Auch Wackerman schafft das nicht ganz. Aber man spürt die aufkeimende Elektrizität zurückkehren. Dazu kommen die obligaten A7x-Variationen mit Streichern, Bläsern, brachialen, ultraschnellen bis hymnisch melodischen Gitarrenriffs, Johnny Christ´s dynamisches Bassspiel und natürlich Mr. Shadows einzigartige Fertigkeit mit seiner Stimme umzugehen. Gelegentlich beschlich mich zwar das Gefühl, er hätte bei den hohen Tönen ein wenig zurückschrauben sollen, aber zwischen zu viel, zu wenig, zu seltsam, überragend und miserabel bewegen sich insbesondere Konzeptalben ja immer auf einem sehr schmalen Grat…
Genau hier liegen das erhebliche Manko und ebenso die Vorzüge; beim zweiten, dritten Hören beginnt sich die chaotische Substanz langsam zu entwirren und es zeichnet sich ein Bild von wohl durchdachter Konzeption, sogar Eingängigkeit ab. The Stage ist kein Album, das man beim Kochen, Schuhe binden oder Cunnilingus mit der Nachbarin hören sollte. Es erfordert Konzentration und eine gewisse Geduld. Wer die nicht mitbringen kann, will oder auf grässliche Ohrparasiten a’la Nickelback und Bosshoss steht, sollte tunlichst die Finger und Ohren davon lassen, schon der Platte zu Liebe. Allen anderen kann ich The Stage nur empfehlen. Nicht das beste, nicht das verständlichste, – etwas mehr Ausdifferenzierung hätte eventuell nicht geschadet – dafür das abwechslungsreichste und möglicherweise interessanteste Album von Avenged Sevenfold.
Erschienen am 28. Oktober 2016 bei Capitol (Universal Music)