ALTER BRIDGE – THE LAST HERO
Ein Track-By-Track Review von Jonathan und Marcel für metalingus.de in Zusammenarbeit mit 60Minuten.net
Pünktlich im drei-Jahres-Turnus erscheint am 07. Oktober 2016 das neue Album THE LAST HERO der amerikanischen Hard-Rock Band ALTER BRIDGE.
Tracklist:
1.) Show Me a Leader
2.) The Writing on the Wall
3.) The Other Side
4.) My Champion
5.) Poison in Your Veins
6.) Cradle to the Grave
7.) Losing Patience
8.) This Side of Fate
9.) You Will Be Remembered
10.) Crows on a Wire
11.) Twilight
12.) Island of Fools
13.) The Last Hero
Spieldauer: 68:51
Release: 07.10.2016
Label: Napalm Records
Die Band um Sänger Myles Kennedy und Gitarrist Mark Tremonti blickt bereits auf 12 Jahre Bandgeschichte und 4 veröffentlichte Alben zurück. Ermüdungserscheinungen sucht man vergeblich, wie diese Platte tatkräftig unter Beweis stellt. Das Album wurde vom sogenannten fünften Bandmitglied Michael „Elvis“ Baskette (TREMONTI, SLASH, TRIVIUM) produziert und von Ted Jensen (TRIVIUM, BON JOVI, GREEN DAY) gemastert. Laut Mark Tremonti ist das Album “eine perfekte Mischung aus ‘Blackbird’ und ‘Fortress’“, was wir mit dieser Review bestätigen können.
Der erste Song und zugleich die erste Single SHOW ME A LEADER behandelt mit den Wünschen an einen „richtigen“ Anführer ein sehr politisches Thema und spiegelt die aktuelle Lage in Amerika wieder (‚Disillusioned and tired of waiting for the one whose intentions are pure undpersuaded we can trust‘). Der Song startet mit einer spanisch anmutenden Clean-Gitarre von Myles Kennedy, abgelöst durch ein Intro-Solo, untermalt von einer gigantischen Wand der gesamten Rhythmus-Abteilung. Nach dem Intro nimmt dieser Song eine komplett andere Wendung – es folgt ein zügig gespieltes Riff, der die Grundlage für den Strophengesang bildet. Höhepunkt ist der Refrain – Myles trifft sicher die Töne in höchsten Lagen, Mark unterstützt mit solidem Background-Gesang und Scott setzt mit klar gewählten Rhythmuspausen die Akzente, die der Hauptaussage den nötigen Ausdruck verleiht. Das Solo – in gewohnter Tremonti-Manier – passt sich diesem energetischen Song perfekt an. Ein fader Beigeschmack bleibt. Obwohl die Vielzahl von daruntergemischten Gesangsstimmen und Backgroundgesängen (‚No-No-No‘) auf Kosten der Organik des gesamten Songs gehen, wurde mit diesem Song ein starker Song als erste Singleauskopplung gewählt!
Mit THE WRITING ON THE WALL schließt sich ein weiterer melodisch-energetischer Song mit einem ähnlichen Themenfeld wie Show Me a Leader an. Die Lyrics beschreiben anarchistische Endzeitzustände, hervorgerufen durch ignorante und zerstörerische Anführer (‚Cause you’re the great disrupter, so crass and out of line, now tell me who will suffer for all your crimes?‘). Der Trommelwirbel im Intro, der durch Glockenschläge im Hintergrund unterstützt wird, sorgt für die nötige Spannung und Einstieg in den Song. Ein brillantes Zusammenspiel der Gesangsstimmen von Myles und Mark kennzeichnen den Refrain dieses Songs. Die Aussage des Songs wird durch die Bridge (Songteil, der sich melodisch, harmonisch und im Sound von der Umgebung abhebt) durch das „Thunderstruck“-ähnliche Spiel in den hohen Lagen der Gitarre unterstrichen. Auch in diesem Song zeigt Mark Tremonti in einem kurzen und prägnanten Solo seine Fähigkeiten. Es ist ein Song in typischer Alter Bridge-Manier mit perfekter Länge, ohne dass in diesem Song das Rad neu erfunden wird.
Der düstere chorale und mehrlagige Gesang im Intro von dem apokalyptisch anmutenden dritten Song THE OTHER SIDE nimmt einen direkt auf „die andere Seite“ mit. Es folgt ein vom Slow-Tempo-Beat geprägter Metal-Riff, der auch keine Gallops an der Gitarre scheut. Die Strophe wartet mit effektlastigem, teilweise geflüsterten Gesang in sehr tiefen Lagen auf (‚Time for you to meet your maker, playing god tonight‘). Die unterschiedlichen Melodiefolgen von Gesang und Gitarre im Pre-Refrain sorgen für die nötige Divergenz, die den Lyrics ‚You’re insane!‘ einen klaren Ausdruck verleihen. Schmeichelnde Melodien im Refrain werden vermieden – was die richtige Entscheidung für die Gesamtwirkung des Songs ist. Die Bridge und somit erster Ausbruch aus dem wiederholten Strophe-Refrain-Schema könnte glatt einem Horrorfilm entsprungen sein – ein tiefbrummender Bassteppich und Gitarren, die durch chromatisches Saitenziehen für einen verstörenden Effekt sorgen. Wir können sagen, dass dieser Titel einer der unkonventionellsten Alter Bridge-Songs ist, der die Thematik und die Lyrics von Anfang bis Ende in knapp 6 Minuten lebt.
Eine Erleichterung nach dem schwer zu verdauenden Song erfolgt mit dem Titel MY CHAMPION, der mit einem 80er-Jahre anmutenden Staccato-Riff startet. Der gesamte Song ist durch einen optimistischen-positiven Gesang geprägt, der keine lyrischen Floskeln auslässt und relativ vorausschaubar in der Harmonieführung ist. Das Solo, das eine angenehme Länge besitzt und durch die Spielweise über alle Saiten des Griffbretts genügend Abwechslung bietet, ist für uns der Höhepunkt. Mit diesem Song, und gleichzeitig zweiten Singleauskopplung, soll durch den überaus radiofreundlichen Charakter wohl um neue Hörerschaft gebuhlt werden. Alter Bridge-Fans können diesem Song wenig Neues abgewinnen.
Ein Song der schnell durchgehört ist, da er keine bemerkenswerten Besonderheiten aufweist, ist POISON IN YOUR VEINS. Nach dem Einzählen startet der Song mit einem schnell gespielten Sliding-Riff, der in der Strophe auf eine kurzgetaktete Delay-Gitarre trifft. Der Pre-Refrain macht sich einen Phaser-Effekt zu Nutze, der die Gitarre wie einen Kaugummi erscheinen lässt. Was folgt, ist ein positiv anmutender und melodiöser Refrain, der von Myles und Mark dargeboten wird. Ohne Schnörkel, einfach, frei, geradeaus. Thematisch wird – wie es der Titel bereits erahnen lässt – das „Gift in den Adern“ beschrieben, welches zu negativen menschlichen Eigenschaften und Kontrollverlust führt, von denen man sich befreien sollte, so lange es nur möglich ist (‚So release the poison in your veins, so come on bleed it out – it’s not too late‘).
Mit lautstärke-anschwellenden Harmonien startet CRADLE TO THE GRAVE und wird die bittersüße Tragik der Endlichkeit eines jeden Lebens beschreiben (‚The brevity of life‘). In diesem Song wird man den gefühlvollsten Strophengesang von Myles Kennedy hören, was einen Großteil dieses Titels ausmacht. Unterstützt wird das ganze durch die fingergepickte Akustik-Melodie von Mark, die sich dem Gesang perfekt anpasst. Der Refrain bringt eine gewisse Art Bedrückung in der Spielweise zum Ausdruck, die in der Bridge bis hin zur Ausweglosigkeit ausgearbeitet wird. Mit der niederschmetternden Aussage ‚Nothing lasts forever, nothing ever stays the same‘ wird der Song beendet und lässt den Hörer mit dieser Endgültigkeit zurück.
LOSING PATIENCE löst dieses Gefühl mit energetischen Gitarren zeitnah auf. Dieser Song hat das Potenzial sich als festen Bestandteil im kommenden Live-Set zu etablieren. Der sehr melodiöse Refrain lädt mit den Background-Oh’s geradezu zum Mitsingen ein. Klar gewählte Kniffe, wie z.B. der mit einem Telefoneffekt belegte Gesang im Strophenteil, unterstreichen auch hier die Wirkung der Lyrics (‚Sitting by the telephone, waiting for what never comes‘). Dieser Song ist auch ohne eigenständigen Soloteil typisch Alter Bridge – eingängige Melodieführungen mit hohem Wiedererkennungswert.
Mit einem spielerischen Akustik-Intro im walzeranmutenden 6/8-Takt begrüßt uns der längste Song des Albums – THE SIDE OF FATE. Der Wechsel zur distortionlastigen Gitarre lässt nicht lang auf sich warten und wird im Hintergrund durch klar definierte Synth-Effekte untermalt. In der Strophe kehrt die Ruhe durch eine fingergepickten Akustik-Harmoniefolge zurück. Der Refrain wird auf der gleichen harmonischen Grundlage fortgeführt und nur durch einen Distortion-Effekte abgegrenzt – für unseren Geschmack zu wenig Differenzierung. Die Bridge stellt jedoch alles Gehörte auf den Kopf – mehrstimmiger Gesang und melancholisch depressive Gitarre auf mehreren Ebenen, die sehr stark an MUSE erinnern, finden ihren Höhepunkt in einem schlagzeugfreien Breakdown mit einfach gezupften Harmonien. Der heruntertransponierte letzte Refrain bringt die Abgrenzung zum Rest des Songs mit sich, die auch durch die 2 verschiedene Solos (Myles Kennedy / Mark Tremonti) unterstrichen wird. Der Song überzeugt uns trotz dieser Bemühungen nicht in Gänze. Schade, da dieser Song Potenzial für mehr hat.
YOU WILL BE REMEMBERED – eine Dankesrede an einen verloren Menschen im durlastigen poppigen Gewand. Ein weiterer radiofreundlicher Song mit vielen Oh-Gesängen im Hintergrund, die auch Live eine positive Wirkung entfalten können. Es ist keine Ballade, es ist kein Rock-Song – es ist eine Mischung aus beidem. Auch hier finden wir einen gefühlvollen Gesang in der Strophe vor, der sich bis zur Hauptaussage ‚You will always be a hero, we will sing – so you always be remembered‘ im Refrain Schritt für Schritt aufbaut. Abgerundet wird der Song durch ein dem Tempo angepasstes melodisches Solo – hier wird kein Können unter Beweis gestellt, hier wird ausschließlich dem Song gedient. Dieser Song reizt uns auf lyrischer statt musikalischer Ebene, aber auch das gehört für uns zu einem ausgewogenen Album dazu.
CROWS ON A WIRE beschreibt die typischen Probleme mit Neidern, die sich nicht scheuen Anderen dauerhaft Steine in den Weg zu legen (‚Waiting just like crows on a wire, they pry and conspire, that’s all they do‘). Das Intro könnte von Mark’s metalorientierem Soloprojekt „Tremonti“ stammen, stark gekennzeichnet durch Double-Bass an den Drums und Gallops an der Gitarre. Die Strophe erinnert vom Tempo und der Spielweise stark an die erste Single „Isolation“ vom dritten Album „AB III“. Im Refrain gewinnt der Song an Selbständigkeit – es werden stets die höchsten Töne im Gesang getroffen und somit das Alleinstellungsmerkmal für Alter Bridge in den Vordergrund gestellt. Auch die Synth-Effekte im Hintergrund kann man nicht überhören. So knackig und krachend wie dieser Song beginnt, endet er auch. Alles in allem ein rifforienter Song, der weiß, wie er nach vorne geht.
Ein weiterer positiv wirkender Song in Dur-Manier im 6/8 Takt schließt sich mit TWILIGHT an und behandelt die Thematik einer unsicheren Zukunft (‚Twilight – where do we go, time is running out‘). Der Gesangsmelodie der Strophe wird bereits mit Oktav-Harmonien im Intro vorgegriffen und leitet so die Strophe ein. In diesem Refrain wird kein hoher Ton gescheut um dem Songtitel ‚Twilight‘ Ausdruck zu verleihen.
Es wird laut. Mit bedrohlich anmutenden und alarmierenden Gitarren im Intro startet ISLAND OF FOOLS bis es zum ersten Höhepunkt kommt: einem krachenden Metal-Intro. Tief gestimmte Gitarren, hämmernde Bass-Drum, scheppernde Becken. In der Strophe wechseln sich Myles Kennedy und Mark Tremonti an der Gitarre im Frage-Antwort-Stil ab. Die Strophe nimmt weiterhin an Fahrt auf, mit einem ähnlichen Spielmuster wie wir es zuletzt bei „Ties that bind“ vom Album „Blackbird“ gehört haben. Der Refrain ist gekennzeichnet durch den Doppelgesang von Myles Kennedy und Mark Tremonti – diese stimmliche Ergänzung kommt dem Refrain außerordentlich zugute – um dem Thema des Durchkämpfens in einer zerstörten Welt (‚Just save yourself, there is nothing to hide but the truth – there’s no one else here beside you‘) Ausdruck zu verleihen. Auch das Solo wird mit atemberaubender Geschwindigkeit dargeboten, was diesen Song nicht einfach so an einem vorbeirauschen lässt. Ein wahrer Höhepunkt des ganzen Albums.
Der Titel-Track und zugleich Abschluss des Albums bildet THE LAST HERO. Der dritte Song, der sich des 6/8-Taktes bedient, und das mit einer beeindrucken Länge von 6:42 Minuten. Die Marschtrommel zu Beginn des Songs passt sich vorzüglich den Lyrics ‚Can you hear the marching?‘ an, bis es zum ersten von Einzelnoten geprägten Breakdown zwischen den Strophen kommt. Der Refrain wird in gewohnter Manier zusammen mit Mark Tremonti bestritten – um der Kernfrage des Refrains: ‚Have we lost our last hero?‘ die nötige Kraft zu verleihen. Die Stimmung des Songs schwingt wie ein Pendel hin und her – bis es nach dem zweiten Refrain zu einem Einbruch à la „Fortress“ aus dem gleichnamigen Album kommt. Taktwechsel, leichte Temposteigerung und akzentuierte Breaks, bis es den ersten Ruhepol in dem Solo von Myles Kennedy findet und in einem ratternden Gitarrenrhythmus wieder an Kraft aufnimmt. Nach diesem Gewitter wird der Intro-Part in bedächtiger Ruhe wiederholt, der im letzten Refrain endet, gefolgt vom zweiten und letzten Solo des Songs, dargeboten von Mark Tremonti. Der ratternde Rhythmus aus der Bridge findet im Outro nochmals Anwendung bis es zu einem klaren Cut im Schluss kommt. Dieser Song ist keine leichte Kost, man muss ihn mehrmals hören, man muss ihm eine Chance geben zu wirken.
Es sind die ehrlichen Momente im Gesang der Songs die an „One Day Remains“ erinnern, die Hard-Rock-Nummern die an „Blackbird“ erinnern, die düsteren Songs die an „AB III“ erinnern und die progressiven Elemente die an den Vorgänger „Fortress“ erinnern. Doch die Selbständigkeit wird bei diesem Album nicht außer Acht gelassen und es ist etwas für jeden Hörer dabei. Abschließend lässt sich sagen, dass mit diesem Album keine neuen Wege beschritten werden – weder im Klang, noch im Songaufbau. Im direkten Vergleich zum Vorgänger „Fortress“ wird kein Schritt nach vorne gewagt, mutige Ausreißer aus der altbekannten Komfortzone sucht man auf dieser Platte vergeblich, auf der anderen Seite jedoch wird auch kein Rückschritt ersichtlich. Es ist ein Release den man von Alter Bridge gewohnt ist: Hard-Rock auf höchstem qualitativen Niveau!
Wertung: 9/10
LIVE IN DEUTSCHLAND:
13.11.2016 – Berlin, Columbiahalle
04.12.2016 – Frankfurt, Jahrhunderthalle *
05.12.2016 – Köln, Palladium *
06.12.2016 – Hamburg, Mehr! Theater *
10.12.2016 – München, Zenith *
(SUPPORT: Like A Storm & Gojira*)